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GIB (WASSER)STOFF!

Wer sehen will, wie man den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft schnell hochfahren kann, muss nach Österreich und Bayern schauen. Ein Gemeinschaftsprojekt zeigt, was aktuell schon möglich ist – und woran es noch mangelt.

Elektrolyseur
In der Pilotanlage in Pilsbach produziert und speichert die RAG Austria bis zu 100.000 Kubikmeter Wasserstoff im Jahr. Gut ein Drittel davon wurde jetzt nach Deutschland geliefert.
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er September 2024 war ein guter Monat für alle, die auf Wasserstoff setzen. Denn es wurden erstmals durch Einspeisung ins Gasnetz der Netz Oberösterreich rund 31.500 Kubikmeter Wasserstoff von Österreich nach Deutschland geliefert. Beteiligt an dem wegweisenden Projekt „H2 cross border“ waren die RAG Austria, die den grünen Wasserstoff produziert und speichert, für Transport und Lieferung bayernets, Bayerngas und Shell Energy Deutschland sowie als Endverbraucher die Meggle Group, vor allem als Produzent von Milchprodukten weltweit aktiv. Für Matthias Oettel, CEO von Meggle, stellt „diese Energiepartnerschaft einen ersten und wichtigen Schritt in eine emissionsreduzierte und künftig emissionsfreie Zukunft dar“.

Leuchtturmprojekt in Sachen Wasserstoffhochlauf

Langfristig planen die Projektpartner nicht weniger als den Aufbau einer grenzüberschreitenden Wasserstofflieferkette über Österreich nach Bayern – und alle Beteiligten sind sich einig, dass ihr Projekt ein Leuchtturm sein soll, der den Weg weist. Was jetzt zählt, sind Tempo und Know-how. Was Letzteres angeht, hat „H2 cross border“ bewiesen, dass man bereit ist, das Projekt hochzuskalieren. In Sachen Tempo hakt es momentan vor allem noch aufseiten der deutschen Behörden.

„Man muss neu denken, etwas neu aufbauen, flexibel sein.“
Tatjana Weilert
Senior Manager Operations UGS bei RAG Austria

Jemand, der das sehr gut weiß, ist Tatjana Weilert, Senior Manager Operations UGS bei der RAG Austria. Sie ist von Anfang an federführend an „H2 cross border“ beteiligt, leitet das Projekt seit drei Jahren. Weilert arbeitet im Bereich Midstream und verantwortet Projekte im Bereich Logistik für die RAG-Speicher. Und da sind wir schon mitten im Thema. Die RAG, Österreichs größtes Unternehmen für die Speicherung von Erdgas, betreibt in Oberösterreich zwei Anlagen, in denen sie grünen Wasserstoff produziert und in unterirdischen Porenlagerstätten speichert. Anlagen, die weltweit Beachtung finden, denn sie waren die ersten ihrer Art und haben gezeigt: im Sommer produzierter Sonnenstrom kann für den Winter gespeichert werden.

Vorzeigeprojekt in der Idylle

Eine der beiden Anlagen liegt in der Nähe des winzigen Örtchens Pilsbach, Einwohnerzahl rund 650. Hier, auf der sprichwörtlichen grünen Wiese, mit dem eindrucksvollen Bergpanorama am Horizont, hat das Projekt seinen Anfang genommen. „Die RAG, zusammen mit bayernets und Bayerngas, ist die Initiatorin von H2 cross border. Und wir hatten alle Hände voll zu tun in den drei Jahren bis zur ersten Wasserstofflieferung“, sagt Weilert. Zum einen hat die RAG den von ihr produzierten Wasserstoff vom TÜV Süd als „grün“ zertifizieren lassen, zum anderen konnte die Anlage in Pilsbach in der Herkunftsdatenbank und im Biomethanregister Österreichs registriert werden. „Die Phase war sehr arbeitsintensiv“, so Weilert, „aber sie hat auch viel Spaß gemacht. Denn man muss etwas neu aufbauen, neu denken, flexibel sein.“

Anlage in Pilsbach
Hier in Oberösterreich startet die Wasserstofflieferkette zu Meggle nach Deutschland.

Flexibilität, die sie manchmal bei den Behörden vermisst: „Die Skalierung dieses Projekts kann einen beträchtlichen Impact auf die CO2-Reduzierung haben, nur muss es jetzt schneller vorangehen. Wir und unsere Partner haben gezeigt, dass wir H2-ready sind. Jetzt ist das deutsche Umweltbundesamt gefordert, schneller zu arbeiten, damit ein grenzüberschreitender Transfer von Herkunftsnachweisen möglich wird.“

Klein anfangen, groß denken ist das Motto von Tatjana Weilert. Die Anlage in Pilsbach kann jährlich rund 100.000 Kubikmeter Wasserstoff produzieren und speichern, in einer zweiten Anlage in Rubensdorf sind es rund 1,2 Millionen Kubikmeter, und es sollen alsbald weitere Anlagen folgen. Außerdem könnte die Lieferkette zwischen Österreich und Bayern in hoffentlich naher Zukunft ein Baustein für eine geplante Wasserstoffpipeline sein, die von der Ukraine bis nach Deutschland führt. Denn RAG und bayernets sind auch im Projekt „H2EU+Store“ aktiv, wo es darum geht, die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktion von Wasserstoff in der Ukraine über den Transport durch die Slowakei und die Zwischenspeicherung in Österreich bis zum Endverbrauch in Deutschland aufzubauen.

Handel ja, Quittung nein

So wie Weilert hat auch Jonas Heilhecker vom Projektpartner bayernets viel Arbeit und Engagement in „H2 cross border“ gesteckt. Der Projektentwickler Wasserstoff fordert die schleunige Schaffung eines deutschen Herkunftsnachweisregisters, sodass Zertifikate zwischen Deutschland und Österreich ausgetauscht werden können. „Österreich ist da einen großen Schritt weiter“, so Heilhecker. „Das deutsche Umweltbundesamt lässt leider ein Stück weit auf sich warten, hat das Register für 2026 angekündigt. Das ist eine wichtige Baustelle. Denn Unternehmen, die klimafreundlichen Wasserstoff beziehen wollen, brauchen ganz klare Rahmenbedingungen.“ Momentan sagt Heilhecker, sei es eigentlich so, dass zwar gehandelt werden könne, aber leider ohne Quittung.

Heilhecker ist sich sicher, dass Projekte wie dieses dazu beitragen, die Behörden auf positive Weise dazu zu bringen, schneller zu reagieren: „Wir glauben schon, dass wir mit H2 cross border andere mitziehen können“, so Heilhecker, „das macht es für mich auch so befriedigend, hier mitzuarbeiten: zu sehen, es bewegt sich etwas.“

Seitdem im Oktober die Bundesnetzagentur den Startschuss für den Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffkernnetzes gegeben hat, besteht bei vielen Projektbeteiligten größerer Optimismus, dass es jetzt schneller vorangeht. Für bayernet ist das auch eine wichtige Nachricht, was ihre Pläne zur internationalen Einbindung angeht. „Der Fokus muss natürlich langfristig die Anbindung des Kernnetzes an die europäischen Importkorridore sein – und da wollen wir beim Wasserstoff eine so wichtige Rolle spielen wie heute schon beim Erdgas.“

Das Projekt „H2 cross border“ geht weiterhin mit bestem Beispiel voran: Die zweite Lieferung von grünem Wasserstoff von Pilsbach nach Wasserburg ist für Anfang 2025 fest eingeplant. Läuft!

Das Projekt „H2 cross border“ auf einen Blick

Erzeugung und Speicherung
Mithilfe der Elektrolyseanlage in Pilsbach (Lehen) erzeugt die RAG Austria Wasserstoff, der in Porenspeichern gelagert wird
Zertifizierung
des Wasserstoffs als „grün“, durchgeführt vom TÜV Süd
RAG-Anlagenregistrierung
im österreichischen Biomethanregister und in der Herkunftsnachweisdatenbank
Einspeisung ins Netz
im Rahmen einer Beimischung zu Erdgas
Transport
von der Anlage in Pilsbach nach Bayern
Lieferung
an Meggle
Ausstellung
und Transfer der Herkunftsnachweise von RAG an Meggle in Österreich
Der Transfer der Herkunftsnachweise
nach Deutschland wird erst nach Aufbau eines deutschen Herkunftsnachweisregisters möglich sein
Veröffentlicht:
Juni 2024
Text: Marcus Müntefering
Fotos: RAG Austria AG (3), Meggle Group GmbH, bayernets GmbH

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