In seinem Werk in Leipzig zeigt der Automobilhersteller BMW, wie Wasserstoff den Weg zu einer klimafreundlichen Produktion und Logistik ebnen könnte. Um das Gas in großem Maßstab einsetzen zu können, fehlt allerdings noch ein entscheidender Mosaikstein.
Gute Aussichten
Stefan Fenchel, Projektleiter Nachhaltigkeit von BMW in Leipzig, blickt über das Werk: „Wasserstoff spielt hier eine bedeutende Rolle.“
Auf dem Dach der Halle 32 im Leipziger BMW-Werk ist die Zukunft zum Greifen nahe. Sie liegt – in kaum einem Kilometer Entfernung – im Erdreich verborgen. „Schauen Sie mal darüber“, sagt Stefan Fenchel. Er zeigt mit einer Hand in Richtung Südwesten, die andere hält er sich zum Schutz vor dem gleißenden Sonnenlicht über die Augen. „Dahinten an der A14 führt sie direkt am Werk vorbei.“ Fenchel spricht von der Ferngasleitung, die den Standort in ein paar Jahren mit grünem Wasserstoff versorgen soll. Der promovierte Chemiker ist Projektleiter Nachhaltigkeit bei BMW in Leipzig. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen baut er an der Autofabrik der Zukunft – und in der spielt Wasserstoff eine zentrale Rolle.
Noch aber fließt Erdgas durch die Leitung. Sie biegt, aus Norden kommend, hinter Bad Lauchstädt nach Osten Richtung Mühlberg ab und bringt den fossilen Energieträger zu Industriebetrieben, Verteilnetz- und Kraftwerkbetreibern in Sachsen-Anhalt und Sachsen. Das Leitungsstück gehört zum Netz der Ontras Gastransport GmbH, das deutschlandweit rund 7.700 Kilometer umfasst. Etwa 1.110 davon will das Unternehmen in das künftige Wasserstoffkernnetz einbringen und auf H2-Transport umstellen. Darunter ist auch die Trasse entlang des Leipziger BMW-Werks – ein Glücksfall für den Standort.
„Wir hoffen, dass wir uns 2027, spätestens 2028 an das Kernnetz anschließen können“, sagt Stefan Fenchel. Die dafür erforderliche Verbindungsleitung ist in Vorbereitung – gut 1.000 Meter von der Versorgungszentrale im BMW-Werk und der Ausspeisestation. „Nicht unbedingt ein Steinwurf, aber angesichts der Dimensionen unseres Standorts so gut wie um die Ecke“, sagt Fenchel, während sein Blick über das rund 200 Hektar umfassende Gelände geht. Bis zu 1.300 Pkw produziert BMW hier Tag für Tag – zwar nicht energieintensiv gemäß Definition, aber dennoch mit einem hohen Einsatz von Energie. Pro Jahr verbraucht das Werk rund 200 Gigawattstunden Erdgas und emittiert dadurch rund 36.000 Tonnen CO2.
Der Anschluss an das Wasserstoffkernnetz soll für BMWLeipzig deshalb ein Meilenstein auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung werden. Schon heute nutzt der Standort Wasserstoff – seit mehr als zehn Jahren beim innerbetrieblichen Transport und seit 2022 anstelle von Erdgas auch für die Prozesswärme in der Lackiererei, die allein für ein Drittel des Energieverbrauchs im Werk verantwortlich ist. „Auf diesem Feld sind wir hier Vorreiter, nicht nur im BMW-Konzern, sondern in der gesamten Branche“, sagt Stefan Fenchel. Bisher kommt der Wasserstoff mit Lkw ins Werk, ein umständlicher und teurer Weg. „Und die Liefermengen sind begrenzt“, sagt Fenchel. Erdgas komplett zu ersetzen, werde auf diese Weise nicht möglich sein. „Die Mengen, die wir allein zur kompletten Umstellung der Lacktrocknung brauchen würden, können effizient und bezahlbar nur über eine H2-Leitung geliefert werden.“
Runter vom Dach, rein in die Produktion. Und rein in dunkelblaue Schutzanzüge, ohne die niemand die Lackiererei betreten darf. Lackieren ist ein hochempfindlicher, automatisch gesteuerter Prozess, bei dem jegliche Verunreinigungen durch Staub und andere Schmutzpartikel zu Mängeln führen kann. Wobei zunächst nicht ganz klar wird, woher der Schmutz stammen könnte in den riesigen, fast klinisch sauberen Montagehallen, die sich auf dem Weg zur Lackiererei bis ins Unendliche zu erstrecken scheinen. „Wenn Sie genau hinschauen, können Sie die Erdkrümmung erkennen“, scherzt Fenchel. Die Montage von Personenkraftwagen, sie gleicht hier einem langsamen, ruhigen Fluss. In gemächlichem Tempo und in genau kalkuliertem Takt ziehen die Karosserien unaufhaltsam auf den Förderbändern vorbei. Mit routinierten Handgriffen setzen Mitarbeiter Bauteile in die schon in schönstem Lack glänzenden Autos, eine konzentrierte, fast geräuschlose Arbeit.
Auf dem Weg zur Lackiererei bleibt Zeit für eine kurze Einführung in das klassische Lackierverfahren, das Autohersteller üblicherweise anwenden. Die Lackierung eines Pkw bestehe, erklärt Stefan Fenchel, aus vier Schichten: der Grundierung, die den Korrosionsschutz enthält, dem Füller, der Unebenheiten ausgleicht und die Lackschichten besser haften lässt, sowie dem Basis- und dem Klarlack, die erst für die Farbe und den Glanz des neuen Autos sorgen. Bei BMW haben sie das Verfahren weiterentwickelt: Im sogenannten Integrierten Lackierungsprozess (IPP = Integrated Paint Process) ersetzen zwei Basislackschichten, die nass-in-nass auf die Karosserie aufgebracht werden, den Auftrag und das Einbrennen des Füllers. „Das Verfahren ist effizienter, spart Energie und reduziert Emissionen“, sagt Fenchel.
Hinter der Luftschleuse, durch die Mitarbeiter und Besucher die Lackiererei betreten, stehen an diesem Frühlingsnachmittag allerdings die Roboterarme still – die Anlage wird turnusgemäß gewartet. „Im normalen Betrieb gehen die Karosserien von hier aus in die Trockneranlage“ erklärt Fenchel, „eine halbe Stunde bei 150 bis 200 Grad.“ Die erforderliche Wärme dafür erzeugen im Leipziger Werk über 50 Brenner an zehn Trocknersträngen. Die konventionell mit Erdgas und zum Teil schon mit Wasserstoff betriebenen Geräte sind das Herz im Prozess der Lacktrocknung – eins mit besonders großem Energiebedarf. Wer sie in Augenschein nehmen will, muss sich in der Lackiererei bis ins Innere vor- oder besser gesagt hocharbeiten. Es geht durch schmaler werdende Gänge an silbrig glänzenden Rohren vorbei, bis schließlich das Ziel erreicht ist: der erste brennstoff-flexible (bivalente) Brenner für einen Lacktrockner, der in einem Automobilwerk zu Einsatz gekommen ist.
Zwei Stahlrohre laufen parallel an der Außenhülle des Lacktrockners entlang, von außen nur durch ihre Farbe zu unterscheiden: Die Leitung für Erdgas ist gelb, die für Wasserstoff stahlgrau. Messgeräte zeigen die aktuellen Drücke an, rechts der zwei Rohre hängt ein Display, auf dem die aktuellen Betriebsdaten abgelesen werden können. „Der Brenner kann Erdgas und Wasserstoff verarbeiten“, erklärt Fenchel, „und im laufenden Betrieb von dem einen auf das andere Gas umschalten.“ Was so unkompliziert klingt, wurde zwei Jahre lang erforscht, geplant, gebaut und getestet. „Wasserstoff fließt schneller als Erdgas und verbrennt deutlich heißer“, sagt Fenchel. „Eine große Herausforderung war es, die Flamme in den Griff zu bekommen.“ BMW hatte sich für die Umsetzung deshalb die Unterstützung der Experten von SAACKE geholt. Das Familienunternehmen entwickelt und baut seit 90 Jahren Verbrennungsanlagen für Industriebetriebe und wagte sich zusammen mit dem Automobilhersteller ins Neuland.
„Wir waren und sind hier so etwas wie das Testlabor für den Konzern“, sagt Fenchel. „Wenn die Lacktrocknung mit Wasserstoff in Leipzig im Vollbetrieb funktioniert, werden wir die Technologie auch in anderen Werken ausrollen.“ Inzwischen sind elf Brenner auf Bivalenz umgerüstet, einer davon ist bisher in Wechselbetrieb, was vor allem daran liegt, dass klimafreundlicher Wasserstoff in den benötigten Mengen noch nicht auf dem Markt zu wirtschaftlichen Preisen verfügbar ist. „Wir wissen heute aber: Technisch geht es . Und es geht sicher und mit guten Ergebnissen“, sagt Fenchel.
Die Investitionen für die Entwicklung und Umrüstung beliefen sich auf einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag. „Das ist etwa um den Faktor fünf günstiger, als die Trockneranlage auf Strom umzustellen“, sagt Fenchel. „Für bestehende Anlagen, die Laufzeiten von mehr als 30 Jahren haben, ist Wasserstoff daher nicht nur technologisch die beste Option, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.“
Wasserstoff ist hier bei BMW aber nicht nur die Zukunft. Wasserstoff hat im Leipziger Werk schon eine längere Geschichte. Ein Zeichen und zugleich Aushängeschild für diese Geschichte steht in einer der weitläufigen Hallen, in denen Zulieferteile für die Produktion gelagert werden:die erste Indoor-Wasserstofftankstelle überhaupt in Deutschland. „Als wir sie 2013 errichtet haben, war das noch eine kleine Sensation. Heute gehören Wasserstofftankstellen hier zum Betriebsalltag“, sagt Stefan Fenchel.
Neun davon befinden sich inzwischen verteilt auf dem Werksgelände. Sie versorgen eine stattliche Flotte etwa von Gabelstaplern und fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF), die mit Brennstoffzellen ausgerüstet sind. „DieTechnologie ist so effizient und wirtschaftlich“, sagt Fenchel, „dass wir inzwischen 220 Fahrzeuge unter Wasserstoff haben.“ Die Betankungszeiten seien kurz, die Reichweiten groß, die Bedienung unkompliziert. „Mit 300 Gramm Wasserstoff ist ein FTF acht Stunden im Einsatz“, berichtet Fenchel.
Die jüngste Generation von H2-Tankstellen funktioniert sogar komplett automatisch. Zu besichtigen ist das einen kurzen Spaziergang weiter: Inmitten sorgfältig gestapelter Kisten hängt dort an einem unscheinbaren Gestänge ein Roboterarm, der selbstständig und ohne menschliches Mitwirken Fahrzeuge betankt. Der Vorgang erinnert an eine Szene aus einem Science-Fiction-Film: Ein flacher Wagen rollt geräuschlos an die Tankstelle heran und stoppt exakt auf der davor markierten Fläche. Der Roboterarm nähert sich dem Einfüllstutzen in abgezirkelten Bewegungen, schließt die Düse des Wasserstoffschlauchs an den Stutzen an, betankt das Transportgerät, löst die Verbindung zum Wagen und fährt anschließend in seine Ausgangsposition zurück. Das alles geschieht mit akkurater Eleganz.
„BMW setzt die auf diese Technologie, sie kann zum Gamechanger werden“, sagt Stefan Fenchel und meint damit jetzt nicht nur den Tankroboter, der wieder regungslos in dem Gestänge hängt, sondern die systematische Versorgung des Standortes mit Wasserstoff. Um zu verstehen, wieviel System wirklich hinter diesem Vorhaben steckt, geht es noch mal rauf aufs Dach. Hier verläuft – über den Dächern der Produktion – ein Netz aus Wasserstoffrohren, das die einzelnen Abnahmepunkte im Werk versorgt. Gespeist wird es aus einer zentralen Verdichterstation, die regelmäßig mit Wasserstoff aus Trailern beliefert wird. Nach dem Willen von Stefan Fenchel könnte damit bald Schluss sein und Wasserstoff aus dem geplanten Kernnetz direkt in das Werksnetz fließen – für die Logistik, für die Lackiererei und, wer weiß, auch für die Energieversorgung im werkseigenen Kraftwerk, das heute mit Erdgas läuft. Dazu gilt es aber noch ein paar Herausforderungen zu meistern.
Die Zukunft jedenfalls kann kommen. Bei BMW in Leipzig freuen sie sich schon darauf.
„Wir wissen heute, es geht. Und es geht sicher und mit guten Ergebnissen.“
Stefan Fenchel
Projektleiter Nachhaltigkeit, BMW Leipzig
Parallelwelten
Der Brenner in der Lacktrocknung funktioniert mit Erdgas und Wasserstoff und kann automatisch von dem einen Gas auf das andere umschalten.
Qualitätskontrolle
Roboterarme kontrollieren die Oberflächenqualität der fertig lackierten Karossen und messen Schichtdicke, Farbton und Struktur.
Moderne Produktion
Lackierte Fahrzeuge im Leipziger BMW-Werk werden zur weiteren Montage transportiert.
Am Modell
Der Lack auf der Außenhülle eines Pkw ist kaum dicker als ein menschliches Haar: Stefan Fenchel erklärt den Aufbau der Schichten.
Manueller Betrieb
An einer der inzwischen neun Wasserstofftankstellen im Leipziger BMW-Werk hantiert Stefan Fenchel mit einer Zapfpistole. Der Tankvorgang dauert nicht länger als an einer Tankstelle für Benzin oder Diesel.
Vollautomatisch
Ein Roboterarm betankt ein fahrerloses Flurfahrzeug selbstständig mit Wasserstoff. 300 Gramm H2 reichen etwa für acht Stunden Betrieb.
Veröffentlicht: Juni 2025
Fotos: Oskar Schlechter
Reportage: Ralf Mielke